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AutorenbildJakob Lesmeister

MDR verschoben: So nutzen Sie die gewonnene Zeit sinnvoll


(german only)

“Was für eine Erleichterung - Die MDR wird um ein Jahr verschoben!” So oder so ähnlich sehen die Schlagzeilen in der Medizintechnikindustrie dieser Tage aus. Der Grund ist, dass aufgrund der aktuellen Covid-19 Lage die EU-Kommission tatsächlich eine Verschiebung ihrer Verordnung (EU) 2017/745 (auch als “Medical Device Regulation - MDR bezeichnet) angekündigt hat. Eigentlich hätte diese Verordnung in allen Staaten der EU ab dem 26.05.2020 gelten sollen. Aktuell gehen wir von einem endgültigen Inkrafttreten genau ein Jahr später aus. Doch was bedeutet das für alle Wirtschaftsakteure und Gesundheitseinrichtungen jetzt konkret? Wer ist denn eigentlich alles von den neuen Regelungen betroffen und was kann ich jetzt als Hersteller oder Sanitätshaus tun, um das gewonnene Jahr gut zu nutzen? Einen kurzen Überblick sowie Antworten auf diese Fragen möchten wir Ihnen im Folgenden geben.


Wo kommt die MDR her und für wen gelten die Regelungen?


Bei der MDR handelt es sich um eine europäische Verordnung, bei der der Schutz des Verbrauchers bzw. des Patienten im Fokus steht. Sie bezieht europaweit alle Wirtschaftsakteure und Gesundheitseinrichtungen mit ein und betrifft den gesamten Lebenszyklus eines Medizinprodukts. Viele bereits existierende Regelungen in diesem Bereich wurden durch die MDR wesentlich konkretisiert oder verschärft.


Damit ist klar, dass die MDR für alle gilt, die irgendeine Rolle im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Medizinprodukten spielen. Das fängt z.B. bei einem Schraubenzulieferer an und hört beim Sanitätshaus auf, welches letztlich den Patienten versorgt. Dies ist auch zunächst nicht abhängig ob Sie ein Hersteller von Sonderanfertigungen oder serienmäßig hergestellten Produkten sind.

Zusätzlich unterscheiden sich auch die Anforderungen an Hersteller von denen an Händler. Die Anforderungen an Hersteller sind deutlich verschärft im Gegensatz zu denen, die an Händler gestellt werden. Wir können also festhalten: Wir, als Mecuris z.B., wir sind Hersteller. Soviel ist klar. Ein Sanitätshaus kann aber im Sinne der MDR beides sein: Händler oder Hersteller. Es ist also besonders wichtig zu wissen, was man beachten muss, damit man nicht versehentlich zum Hersteller eines patientenangepassten Hilfsmittels wird.


Welche Anforderungen stellt die MDR an alle Akteure?


Unabhängig davon welche Rolle oder auch Rollen Ihr Unternehmen zukünftig einnimmt, gibt es eine Reihe von Anforderungen, denen sich alle Akteure bewusst sein sollten.


Da die MDR im Kern das Wohl des Patienten im Sinne hat, wird ein großer Wert darauf gelegt, dass Medizinprodukte im Verkehr klinisch nachbeobachtet werden. Zunächst einmal verpflichtet das Hersteller für jedes Medizinprodukt - intensitätsabhängig von der jeweiligen Risikoklasse - ein System zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen zu planen, zu betreiben und zu dokumentieren. Hierzu sammelt und bewertet der Hersteller auf aktive Weise klinische Daten, die aus der Verwendung eines in den Verkehr gebrachten Produktes hervorgehen, um die Sicherheit und die Leistung während der erwarteten Lebensdauer des Produkts zu bestätigen, die fortwährende Vertretbarkeit der ermittelten Risiken zu gewährleisten und auf der Grundlage sachdienlicher Belege neu entstehende Risiken zu erkennen. Da die Hersteller von Serienprodukten meist keinen direkten Kontakt mit den Patienten/ Kunden haben, sind sie dabei auf die Mitarbeit der Händler und letztlich aller Beteiligten in der Versorgungskette angewiesen. Das bedeutet für die Händler in Zukunft, dass sie bei Kunden nach der Versorgung aktiv nachfragen und dies auch dokumentieren müssen.


Ergänzend zur klinischen Nachbeobachtung muss auch jeder Akteur ein System bzw. Register mit Beschwerden über nicht-konforme Produkte sowie Rückrufe/Rücknahme führen. Damit ist klar, dass für derartige Fälle ein dokumentiertes Meldesystem einzurichten ist, bei dem jeder weiß, welche Dinge zu welchem Zeitpunkt an wen gemeldet werden müssen und wo sowie auf welche Weise dies im Unternehmen zu dokumentieren ist.


Prozesse wie die des Meldesystems können im Rahmen eines Qualitätsmanagementsystems (QMS) im Unternehmen etabliert werden. Jedoch ist die Einführung eines solchen für Händler beispielsweise keine Pflicht. Allerdings müssen für zahlreiche, durchzuführende Prozesse und Tätigkeiten Nachweise erbracht werden, die ohne zumindest eine Art “Basis-QMS” zu haben, welches die absolut notwendigsten Prozesse abbildet, wohl kaum erbracht werden können.


Welche Anforderungen gelten für Hersteller?


Bevor man sich mit den Anforderungen speziell an Hersteller befasst, sollte man sich die Definition des Begriffes aus der MDR nochmals vor Augen führen:


“Der Begriff „Hersteller“ bezeichnet eine natürliche oder juristische Person, die ein Produkt herstellt oder als neu aufbereitet bzw. es entwickeln, herstellen oder als neu aufbereiten lässt und dieses Produkt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke vermarktet.”


Es ist wichtig zu wissen was die MDR unter einem Hersteller versteht, um nicht versehentlich zu einem Hersteller zu werden und damit auch die deutlich höheren Anforderungen erfüllen zu müssen, die beispielsweise für Händler gelten.


Alle Hersteller von Medizinprodukten im Sinne der MDR müssen - zusätzlich zum bereits erwähnten Meldesystem und der klinischen Nachbeobachtung - unter anderem über Folgendes verfügen:

  • ein MDR-konformes QMS

  • ein Risikomanagementsystem nach Anhang der MDR

  • eine klinischer Bewertung

  • die Benennung einer für die regulierungsvorschriften verantwortlichen Person (PRRC)


Weitere produktbezogene Anforderungen ergeben sich für Hersteller je nachdem ob sie Sonderanfertigungen oder Serienprodukte im Sinne der MDR herstellen. Dies betrifft beispielsweise die geforderte Dokumentation zur Konformitätsbewertung eines Produktes oder das Anbringen einer sog. Unique device identification (UDI). Bei diesen Anforderungen gilt grundsätzlich, dass die Anforderungen an Hersteller, die ausschließlich Sonderanfertigungen herstellen allgemein niedriger sind. Jedoch ist die Auslegung des Begriffs “Sonderanfertigung” nach der MDR bislang noch umstritten. Eine tiefere Auseinandersetzung findet sich beispielsweise im Artikel “Digitale Prozesskette für individualisierte Medizinprodukte” in Heft 2/2020 der mt- Medizintechnik (ET: 23.04.2020, von Manuel Opitz und Jakob Lesmeister)). Es empfiehlt sich,auch in Zukunft die Augen zu diesem Thema offen zu halten, um hier vorbereitet zu sein, sobald es tatsächlich rechtskräftige Aussagen gibt.


Was muss ich als Händler beachten?


Prüfplichten

Allen Händlern - also Sanitätshäuser - wird vor der Bereitstellung eines Medizinproduktes eine Reihe von Prüfpflichten auferlegt. Die Durchführung dieser Prüfungen gemäß den Anforderungen muss nachprüfbar sein. Es empfiehlt sich also, diese Prüfungen schriftlich im Rahmen eines Qualitätsmanagementsystems( QMS) zu dokumentieren. Diese Prüfungen umfassen beispielsweise die Überprüfung

  • ob das betreffende Produkt eine CE-Kennzeichnung trägt

  • die Gebrauchsanweisung beiliegt und korrekt ausgestellt ist,

  • die weitere Kennzeichnung insbesondere das Datum, bis zu dem das Produkt sicher verwendet werden kann sowie das Ablaufdatum konform sind

  • und die Lagerungsbedingungen korrekt eingehalten werden.

  • Ist das produkt ein steril verpacktes Medizinprodukt ergeben sich noch zusätzliche Anforderungen.


Wenn ein Händler den Verdacht hat ein Produkt entspricht nicht den Vorgaben der MDR, so hat er dies dem Hersteller und der zuständigen Behörde zu melden. Händler müssen ein Register mit Beschwerden über nichtkonforme Produkte sowie zu Rückrufen und Rücknahmen führen.


Änderung von Verpackung oder Zweckbestimmung

Auch das Thema Umverpacken bzw. Ändern von Verpackungseinheiten ist mit der MDR unter Umständen kritisch. Grundsätzlich empfiehlt es sich auf jede Art der Verpackungsänderung zu verzichten. Wird nämlich die äußere Verpackung eines bereits im Verkehr befindlichen Produkts geändert (einschließlich Änderung der Packungsgröße), muss dies unter solchen Bedingungen geschehen, die gewährleisten, dass der Originalzustand des Produkts dadurch nicht beeinträchtigt werden kann. Dafür muss ein Händler auf jeden Fall über ein QMS verfügen, was diesen Prozess sicherstellt und dokumentiert. Ein weiterer limitierender Faktor ist die Vorgabe, dass mindestens 28 Tage bevor ein umgepacktes Produkt auf dem Markt bereitgestellt wird, die zuständige Behörde und der Hersteller benachrichtigt werden müssen.


Bei jeder Änderung an einem Produkt, muss geprüft werden, ob sich dadurch die vom Hersteller angegebene Zweckbestimmung verändert oder die Konformität nicht mehr gegeben ist. Dies führt dazu, dass der Händler zum Hersteller wird und die entsprechenden Pflichten des Herstellers übernehmen muss!

Das bedeutet für Händler oder auch Orthopädietechniker, dass sie die Vorgaben des Herstellers unbedingt einhalten sollten und bei Anpassungen und Montagen darauf achten sollten, dass diese innerhalb der Spezifikation des Herstellers durchgeführt werden. Sollte eine Änderung darüber hinaus zwingend notwendig sein, empfiehlt es sich sich diese vom Hersteller genehmigen zu lassen. Allgemein ist hier immer eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Händler von Vorteil.

Empfehlungen für nächste Schritte


Wie also nutzt man das gewonnene Jahr am Besten:


  • Werden Sie sich der Rolle(n) Ihres Unternehmens bewusst (Händler/Hersteller Serienprodukte/Hersteller Sonderanfertigungen) - nur so können Sie herausfinden welche Anforderungen Sie genau zu erfüllen haben.

  • Überprüfen Sie ihr Meldesystem oder richten Sie es ein.

  • Überprüfen Sie Ihr QMS oder stellen Sie sicher, dass zumindest die relevanten Prozesse entsprechend nachgewiesen werden können

  • Nehmen Sie Kontakt zu ihren Herstellern auf und stimmen Sie sich ab bzgl. was mit deren Produkten möglich ist, so dass diese Hersteller bleiben. Stellen Sie zudem folgende Fragen: Welche Zertifikate haben ihre Hersteller für ihre Produkte? Welche Unterlagen brauchen Sie als Händler von Ihrem Hersteller?

  • Wenn Sie selbst Hersteller sind überprüfen sie Ihre Zulieferer und stellen Sie sicher, dass sie alle notwendigen Unterlagen und Zertifikate von Ihren Zulieferern einfordern und bei sich zur Vorlage haben.


Zuletzt ist es natürlich auch weiterhin wichtig die aktuellen Entwicklungen zu verfolgen. So wird sich hoffentlich die Frage nach dem Thema Sonderanfertigungen in der Orthopädietechnik bald klären oder auch andere Themen, bei denen selbst die EU-Kommission immer noch keine finalen oder konkreten Vorgaben gemacht hat. Wenn sich für Sie relevante Neuigkeiten ergeben wollen auch wir vom Mecuris als ein zuverlässiger Partner auf Herstellerseite Sie bestmöglich unterstützen, indem wir Sie mit Information versorgen und auch zukünftig unter der MDR eine exzellente Zusammenarbeit anstreben.

Autor: Jakob Lesmeister, Quality Expert bei Mecuris


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